Wenn Timeboxing nicht stattfindet – wie aus vermeintlicher Freiheit Chaos entsteht
Als Agile Coach stoße ich immer wieder auf ein destruktives Muster, das sich auf den ersten Blick überraschend harmlos anhört:
„Wir brauchen keine Timeboxes. Wir wollen frei arbeiten und flexibel bleiben.“
Klingt zunächst sympathisch, doch in einem Team, das ich kürzlich begleitete, führte genau diese Haltung zu massivem Chaos und Frust. Meetings liefen grundsätzlich aus dem Ruder, Diskussionen fanden kein Ende, Deadlines wurden regelmäßig gerissen und Sprintziele kaum erreicht.
Anfangs suchte das Team nach Gründen in der individuellen Arbeitsweise einzelner Kollegen. Doch schnell wurde klar: Hier gab es ein systemisches Problem. Im Kern lag das destruktive Muster darin, dass Timeboxing nicht stattfand. Die vermeintliche Freiheit ohne klare Zeitrahmen führte nicht zu mehr Kreativität oder Agilität, sondern zu Ineffizienz und Orientierungslosigkeit.
Ich habe gemeinsam mit dem Team mithilfe des 2Cycles-Modells von Agilissence tiefer analysiert, warum sich dieses Muster entwickelte und welche tieferen Ursachen dahinterlagen. Dabei zeigte sich, wie sich das Verhalten und die dahinterliegenden Annahmen gegenseitig negativ verstärkten und wie ein eigentlich agiles Umfeld in die Krise geriet.
Ursachenanalyse mit dem 2Cycles-Modell von Agilissence
Das 2Cycles-Modell hilft, systemische Zusammenhänge zu erkennen. Wenn ein Team Timeboxing fordert, kann dies verschiedene Ursachen haben, die sich in diesen fünf Dimensionen widerspiegeln:
• Motivation: Ist Timeboxing eine bewusste Entscheidung zur Selbstorganisation – oder eher eine Notlösung um endlich Projekttermine zu halten.
• Weltsicht: Wird Zeitmanagement als Unterstützung oder als Einschränkung wahrgenommen? Gibt es unausgesprochene Konflikte, die durch Timeboxing kaschiert werden sollen?
• Handlung: Können die Teammitglieder effektiv in einem Timebox-Rahmen arbeiten oder fehlen ihnen dafür die Fähigkeiten?
• Struktur: Gibt es bereits funktionierende Mechanismen für Meetings und Zusammenarbeit – oder soll Timeboxing eine strukturelle Lücke überdecken?
• Umfeld: Werden durch Timeboxing externe Erwartungen und Stakeholder-Interessen berücksichtigt oder führt es zu neuen Konflikten?
Handlung: Wie sah die Realität ohne Timeboxing aus?
Die konkreten Handlungen des Teams waren ein erster Indikator dafür, dass etwas nicht stimmte:
Meetings dauerten deutlich länger als geplant, ohne Ergebnisse zu liefern.
Einzelne Kollegen kamen regelmäßig zu spät oder gar nicht.
Redebeiträge einzelner Kollegen wuchsen zu endlosen Monologen an. In einem konkreten Fall sprach ein Mitarbeiter in einem 30-minütigen Meeting 25 Minuten alleine.
Deadlines wurden regelmäßig überschritten, sodass Sprintziele unerreichbar wurden.
Ohne verbindliche Timeboxes fehlte es schlichtweg an klaren Grenzen, wodurch Disziplin und Orientierung verloren gingen. Das Team empfand diese grenzenlose Freiheit zunehmend als Belastung statt als Unterstützung.
Weltsicht: Welche Glaubenssätze führten zur Ablehnung von Timeboxing?
In vielen Fällen steckt hinter der Forderung nach Timeboxing eine Art Hilferuf: „Wir brauchen Struktur!“ Teams haben das Gefühl, in unproduktiven Diskussionen oder ineffizienten Arbeitsprozessen gefangen zu sein.
Ich erinnere mich an ein Team, das ständig darüber klagte, dass sich Diskussionen endlos zogen. Als ich tiefer einstieg, stellte sich heraus, dass es nicht an der fehlenden Zeitbegrenzung lag, sondern daran, dass niemand sich wirklich zuständig fühlte, eine Diskussion zu einem Ergebnis zu bringen und es keine Methodenkenntnis darüber gab, wie man Diskussionen strukturiert leiten kann.
Lösung: „Thinking Rounds“ nach Nancy Kline
Anstatt einfach eine Timebox zu setzen, habe ich mit dem Team das Konzept der Thinking Rounds eingeführt. Dabei hat jede Person eine feste Redezeit, in der sie ohne Unterbrechung sprechen kann. Danach gibt es eine reflektierte Runde, in der nur auf vorher Gesagtes aufgebaut wird. Das brachte Ruhe in die Diskussionen und reduzierte die Notwendigkeit eines strikten Timeboxings.
Motivation: Negative Erfahrungen verhindern Veränderung
Weil das Team ohne klare Zeitrahmen ständig negative Erfahrungen machte, verstärkte sich die Ablehnung weiter. So entstand ein destruktiver Kreislauf:
Meetings verliefen ohne Struktur chaotisch und ineffizient.
Die Teammitglieder erlebten regelmäßig Überforderung durch fehlende Orientierung.
Dieses negative Erleben wurde auf Timeboxing projiziert: „Timeboxing würde alles nur schlimmer machen.“
Statt die Ursache – fehlendes Timeboxing – zu hinterfragen, wurde die Angst vor einer noch größeren Einschränkung größer. Dadurch sank die Motivation, überhaupt strukturelle Änderungen vorzunehmen, auf nahezu null.
Struktur: Fehlende Spielregeln der Zusammenarbeit
Weil das Team ohne klare Zeitrahmen ständig negative Erfahrungen machte, verstärkte sich die Ablehnung weiter. So entstand ein destruktiver Kreislauf:
Meetings verliefen ohne Struktur chaotisch und ineffizient.
Die Teammitglieder erlebten regelmäßig Überforderung durch fehlende Orientierung.
Dieses negative Erleben wurde auf Timeboxing projiziert: „Timeboxing würde alles nur schlimmer machen.“
Statt die Ursache – fehlendes Timeboxing – zu hinterfragen, wurde die Angst vor einer noch größeren Einschränkung größer. Dadurch sank die Motivation, überhaupt strukturelle Änderungen vorzunehmen, auf nahezu null.
Umfeld: Die entscheidende Rolle der Führungskultur (finale Erkenntnis)
Im Verlauf unserer gemeinsamen Analyse stellte sich schließlich heraus, dass der eigentliche Kern des Problems nicht nur im Team selbst lag, sondern vor allem durch das Umfeld – die Führungskultur – geprägt war.
Die Agentur war in kurzer Zeit stark gewachsen. Ursprünglich hatte sie mit einer agilen Haltung begonnen, doch diese war im Laufe der Zeit falsch interpretiert worden. Agilität wurde von der Führungsebene fälschlicherweise mit Ad-hoc-Reaktionen, permanenter Erreichbarkeit und Arbeiten auf Zuruf gleichgesetzt.
Diese Mentalität, die im Marketing und Kampagnenmanagement lange erfolgreich war, wurde nun zum Stolperstein. Sie verhinderte ein echtes Verständnis von Agilität als strukturierte, fokussierte und zielorientierte Arbeitsweise. Timeboxing wurde aus Sicht der Führungsspitze als unnötige Formalität oder gar als Zeichen mangelnder Agilität empfunden:
„Wir sind agil – wir reagieren spontan!“
„Zeitrahmen beschränken uns nur.“
„Echte Agilität braucht keine festen Meetings.“
Dadurch wurde das Team in seiner Fehlhaltung noch bestärkt. Die destruktiven Muster verfestigten sich durch die unreflektierte Haltung der Führung zusätzlich.
Lösungen aus meiner Praxis als Agile Coach
Ausgehend von diesen Erkenntnissen setzte ich in meiner Arbeit mit dem Team und der Führung drei klare Schritte um:
Schritt 1: Führung sensibilisieren
Gemeinsam mit der Führung klärten wir, was Agilität tatsächlich bedeutet. In einem Workshop erarbeiteten wir, warum Timeboxing gerade in einem dynamischen Umfeld essenziell ist, um Fokus und Effektivität zu gewährleisten.
Schritt 2: Gemeinsame Spielregeln entwickeln
Mit dem Team etablierten wir einfache, flexible Meeting-Regeln (z. B. „Check-In & Check-Out-Rituale“), die nicht einschränken, sondern Orientierung bieten. Es wurde schnell deutlich, wie diese minimale Struktur sofort positive Effekte erzeugte.
Schritt 3: Positive Erfahrungen ermöglichen
In kurzen Experimenten testeten wir Timeboxing in Form von „Sprint-Slots“, fokussierten Kreativphasen und moderierten Meetings. Die positiven Erfahrungen halfen dabei, alte Glaubenssätze zu widerlegen und Motivation für Veränderung aufzubauen.
Fazit: Timeboxing bewusst einsetzen – Freiheit durch Struktur
Alexander Schaaf Tweet