Zusammenfassung
Stefan Kühl zeigt in seinem Buch „Schattenorganisation. Wie Organisationen über Regeln hinaus stabil funktionieren“, dass Unternehmen nicht nur aus ihren offiziellen Strukturen (Organigrammen, Prozessen, Hierarchien) bestehen. Vielmehr gibt es immer auch eine „inoffizielle“ Seite – also persönliche Netzwerke, Absprachen „auf dem kurzen Dienstweg“ und Routinen jenseits der formalen Regeln. Diese Schattenorganisation kann vieles beschleunigen, birgt jedoch auch Risiken. Kühl argumentiert, dass kluge Führungskräfte und Berater*innen diese Schattenorganisation nicht bekämpfen, sondern bewusst wahrnehmen und gestalten sollten, um Stabilität und Innovationskraft zu erhalten.
Kernaussagen des Buchs
1. Das Nebeneinander von Formellem und Informellem
• Organisationen sind nie nur das, was in offiziellen Dokumenten steht. Die informellen Netzwerke und Beziehungen sind genauso prägend für das Tagesgeschäft.
2. Funktionale Bedeutung der Schattenorganisation
• In Zeiten hoher Komplexität und Dynamik füllen informelle Absprachen die Lücken, die formale Regeln nicht schnell genug schließen können.
3. Rollen von Führung und Macht
• Schattenorganisationen begünstigen informelle Machtkonzentration. Führungskräfte sollten daher offen damit umgehen, um Manipulation und Intransparenz zu vermeiden.
4. Die Ambivalenz – Chance und Risiko
• Informelle Strukturen fördern Kreativität und beschleunigen Entscheidungen, können aber auch zu Parallelstrukturen, Unklarheiten in der Verantwortung und Ungerechtigkeit führen.
5. Notwendigkeit der Offenlegung
• Nur wenn Teams und Führungskräfte bereit sind, die „unsichtbaren Wege“ zu hinterfragen und konstruktiv zu nutzen, bleibt das System langfristig stabil und lernfähig.
Case Study (nicht aus dem Buch)
Ein häufig erwähntes Beispiel der in diesem Zusammenhang ganz gut passt, stammt aus der Automobilbranche, hier exemplarisch die interne Analyse bei BMW (siehe bspw. Springer-Verlag – BMW Fallstudien), bei der man feststellte, dass ein Großteil der wichtigen Entscheidungen informell in Kaffeeküchen und via E-Mailketten getroffen wurde – oft jenseits der offiziellen Entscheidungswege.
Situation: Entwicklungsabteilungen mussten zahlreiche formale Freigabeprozesse durchlaufen. Inoffiziell beschleunigten Ingenieure jedoch ihre Projekte, indem sie sich gegenseitig „unter der Hand“ abstimmten.
Reaktion:
Statt dieses Verhalten zu unterbinden, untersuchte das Management die informellen Kommunikationswege. Erkenntnisse daraus führten zu flexibleren Prozessen und zur Einrichtung von Austauschformaten, in denen sich alle Beteiligten transparent miteinander abstimmen konnten.
Ergebnis: Produktentwicklungen wurden schneller, die Innovationskultur besser. Gleichzeitig blieb das offizielle Freigabesystem bestehen, aber mit weniger Bürokratie.
Werkzeuge und Methoden aus dem Buch
1. Informelle Netzwerk-Analyse
• Warum: Verstehe, wer wirklich mit wem kommuniziert und wer inoffizielle Meinungsführer*innen sind. So erkennst du Engpässe oder Machtzentren.
• Wie anwenden: Durch Interviews, Soziogramme oder einfache Umfragen („Wen fragst du bei Problem XY zuerst?“).
• Vorteil: Identifiziert Schlüsselpersonen, die man in Veränderungen oder Entscheidungsprozesse einbinden sollte.
2. Reflektionsrunden & Retrospektiven
• Warum: Schaffe ein regelmäßiges Forum, in dem Teams nicht nur formale Prozesse, sondern auch „inoffizielle“ Pfade offen ansprechen können.
• Wie anwenden: Nach wichtigen Projekten oder in festem Rhythmus kurz die Frage stellen: „Welche Wege haben wir offiziell genommen, welche waren informell – was davon war hilfreich, was war problematisch?“
• Vorteil: Erhöht die Lernfähigkeit und fördert Transparenz im Umgang mit der Schattenorganisation.
3. Leitplanken statt Detailregeln
• Warum: Je detaillierter die formalen Regeln, desto wahrscheinlicher ist es, dass Mitarbeitende informelle „Workarounds“ finden.
• Wie anwenden: Definiere klare Spielregeln zu Budget, Qualität, Risiken oder Zielen, und lass Teams selbst entscheiden, wie sie diese Ziele erreichen.
• Vorteil: Es entsteht mehr Flexibilität und Motivation, ohne dass der Gesamtrahmen verloren geht.